Von Pferden, Weltmeistern und dem Chefsein: Wie gute Führung geht

 

Ich fall mal mit der Tür ins Haus: JA, ich bin Weltmeisterin. Mehrfache. Als Athletin, als ich noch keine 18 war. Und später als Coach der weltweit erfolgreichsten Mannschaft meiner Sportart.

Und meine wichtigsten Learnings, warum und wie Chefs ein bisschen weltmeisterlicher agieren sollten, gibt es hier in komprimierter Form. Dazu muss ich euch allerdings bitten, ein paar Jahre mit mir zurückzuspringen …


Im „Volti-WAS??“

Das war oft die erste Frage, wenn ich früher jemandem auf die Schnelle erklären wollte, in welcher Sportart ich meine Medaillen gesammelt habe.

Und ja, es wäre wirklich leichter gewesen, mit „Tennis“, „Eiskunstlauf“ oder meinetwegen sogar „Tontaubenschießen“ zu antworten. Denn unter all dem können sich Menschen irgendetwas vorstellen. Der Begriff „Voltigieren“ aber beschreibt einfach überhaupt nicht, um was es hier eigentlich geht: Nämlich Akrobatik auf einem galoppierenden Pferd. Alleine, zu zweit zu dritt. Man könnte es auch Turnen auf dem Pferd nennen, was aber wiederum auch nicht ganz richtig ist. Denn Paarläufer im Eiskunstlauf würden sich wohl auch nicht als Turner bezeichnen. Und so ähnlich wie Paarlauf kann man sich auch Voltigieren nämlich am besten vorstellen: fulminante Musik, spektakuläre Hebefiguren, ein Tanz, nur halt nicht mit Schlittschuhen auf dem Eis, sondern mit Schläppchen auf dem Pferderücken. Wackelig, schwierig, einzigartig. Und irgendwie auch einzigartig beknackt.

Wie kommt man auf sowas? In meinem Fall über zwei ältere Schwestern und einen Wohnort in unmittelbarer Nähe des weltweit erfolgreichsten Voltigiervereins. Ich bin quasi völlig unschuldig in all das reingeraten - und das bereits im Alter von sieben Jahren.


Demut. Respekt. Klare Hierarchien.

Angefangen ganz unten in der Nahrungskette.

Wo ich hörte, ich sei zu klein, um das schöne weiche Fell an Kopf, Hals oder Rücken des riesigen Vierbeiners zu putzen. „Du schrubbst die Beine.“ war so ziemlich das erste, was man als Neuling lernt. Und das ist schon nett. Manche fliegen als erstes auf den Misthaufen. Das hätte ich vermutlich nicht so gut verkraftet. Von wegen behütetes Harmoniekind und so. Aber eines hab ich sofort lernen dürfen: Du fängst ganz unten an. So einfach.

Und hier möchte ich bereits die erste Brücke in Richtung Arbeitswelt schlagen.

Learning Nummer 1: Man fängt irgendwie immer unten an. Und das ist auch gut so! Es lehrt uns Demut. Respekt vor anderen, die schon länger dabei sind. Es lehrt uns, zu schätzen, wenn wir uns von den Pferdebeinen zum Bauch hochschrubben und einen kleinen Karriereschritt machen dürfen. Alles zu seiner Zeit. Und schlussendlich lehrt es uns – Empathiefähigkeit vorausgesetzt – dass wir eine eigene Haltung dazu entwickeln, wie wir die nächsten Neulinge einarbeiten und anleiten. Spoiler: Ein lohnender Chrashkurs, den einige Führungskräfte, denen ich in meinem Leben begegnet bin, mal besser in jungen Jahren absolviert hätten.

Beim Voltigieren gibt es nämlich einen einfachen und fantastischen Umstand: In einer Turniermannschaft bilden Jung und Alt gemeinsam ein Team. Erwachsene (manche sind Anfang dreißig), turnen gemeinsam mit 10-Jährigen, Pubertierenden und Studenten.

Zu Beginn ist es vielleicht ein bisschen wie bei Erstklässlern, die gerade frisch eingeschult wurden: Man ist das Fischfutter. Und so war es auch bei mir. Die kleine Blonde, die leicht genug war, um gut durch die Luft geworfen zu werden. Talentiert genug, um es nach zwei Jahren in die erste Mannschaft zu schaffen. Und frech genug, um es mit den Großen aufzunehmen und zum Glück nicht nur Fischfutter zu sein.

Wir waren irgendwie eine Familie.


Der Weg zum Erfolg ist weit, aber er lohnt sich.

Als junger Leistungssportler lernt man schnell: Das Jahr richtet sich nicht mehr nach Feiertagen oder Jahreszeiten, sondern nach Wettkämpfen und Trainingsplänen. Als ich neun Jahre alt war, kam ich zum letzten Mal in den Genuss von drei Wochen Sommerurlaub mit meiner Familie. Den Trainingsplan mit im Gepäck, versteht sich. Und wenn andere Familien ihre sechs Wochen Sommerurlaub verplanten, rannte ich täglich in den Reitstall. Trainingslager. Fünf Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Da war ich zehn Jahre alt.

Aber da gab es kein Jammern oder traurig sein, dass die anderen Postkarten aus Griechenland oder Italien schickten, denn schließlich war ich Teil einer für mich viel größeren Sache: Ich war in einem Langzeitprojekt. Und das hieß: Weltmeister werden.

Wenn man eines als Leistungssportler lernt, dann dass der Weg weit ist, und dass man eine Menge Geduld und Durchhaltevermögen braucht. Beim Krafttraining zum Beispiel. Denn ja, um Handstände und anderes Zeug auf einem galoppierenden Pferd zu machen, muss man viel Krafttraining machen. 70 Liegestütze oder 100 Sit-ups am Stück? Kein Ding damals für mich. Genauso wie Ausdauerläufe, Intervalltraining, Ballett- und Beweglichkeitstraining, Choreografie-Workshops und mentales Training. Alles für den Dackel, alles für den Club.


Nur „all in“ führt zum Erfolg.

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Und damit sind wir direkt bei Learning Nummer 2:
Der Weg zum Erfolg ist immer langfristig. Disziplin schlägt Talent, nur die Harten kommen in den Garten. Und in den Garten kommt auch nur, wer mit vollem Herzen dabei ist.

Etwas, was mir im Arbeitskontext immer wieder auffällt: Die wenigsten sind mit vollem Herzen bei der Sache – und dann kann einfach gar nichts Gutes herauskommen.

Man hätte mich damals nachts um 4 Uhr wecken können und ich wäre gerne zum Training gegangen. Es war immer anstrengend, hat den Körper vollumfänglich ausbelastet. Aber ich hätte nie gesagt: „Och nee, heute will ich nicht.“

Warum? Weil mir 1.) Der Sport, die Bewegung, das Team, die Arbeit mit den Pferden unfassbaren Spaß gemacht hat. Ich war in meinem Element. Und 2.) Weil das Ziel so klar war. Ich wusste, WANN, WO und WARUM ich an bestimmten Tagen im Jahr liefern musste. Das Leben bekam zusätzliche Highlights, die mit Spannung erwartet wurden. Challenges würde man sie heute vermutlich nennen. Nicht so was wie sich einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf kippen, sondern Langzeitchallenges, die einem alles abverlangen. Und wenn man dann ein Ziel erreicht, sieht man oft erst rückblickend, wie viel Energie, Ausdauer und Arbeit man investiert hat. Und man schaut nach nächsten Zielen.

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Auch typisch für Leistungssportler: What´s next? Und so lernte ich mit 10 Jahren mehr über intrinsische Motivation und Ziele kennen als so mancher Mittfünfziger in mittlerer Führungsebene.


Von Glück und Unglück.

Wir halten also diese zwei Dinge fest:

1) Nix kommt von alleine. Großartiges erst recht nicht.

2) Disziplin schlägt Talent, Durchhaltevermögen schlägt Glück.

Letzteres kann helfen, bleibt aber garantiert aus, wenn man sich darauf verlässt. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass man durchaus mal mit Glück gewinnen kann. Aber das passiert äußerst selten. So wie der FC Bayern selten wegen Glück, dem „Bayern-Dusel“ oder dem sagenumwobenen Fußballgott gewinnt.

Und auch in der Arbeitswelt ist es keine reine Glückssache, ob es erfolgreich läuft. Erfolg erwächst immer aus der Entscheidung, die Dinge langfristig und mit Herz anzugehen. Permanent und trotz zwischenzeitlicher Rückschläge.

Im Voltigieren ist Glück, wenn der Konkurrent im Finale vom Pferd fällt oder wenn der Richter Tomaten auf den Augen hat, wenn man selbst gerade einen Fehler macht. Oder beides. Ja, manchmal gewinnt man mit etwas Glück. Aber das fühlt sich nicht halb so gut an, wie wenn es verdient war. Ich schwöre.

Noch heute schaue ich mir ungern diese eine Goldmedaille aus dem Jahr an, wo ich fand, dass die Konkurrenzmannschaft eigentlich den Sieg verdient hätte. Sie liegt ganz hinten im Vitrinenschrank bei meinen Eltern.

Erfolg fühlt sich halt eben nur dann gut an, wenn man ihn sich ehrlich erarbeitet hat.

Wenn der Chef einem auf die Schulter klopft, weil man die Arbeit eines anderen präsentiert, dann ist das nicht nur mies fürs Karma, sondern auch kein Erfolg, der sich jemals gut anfühlen wird. So einfach.


Scheitern ist der Shit.

Ja, ich bin schon einige Male vom Pferd gefallen. Auch das gehört dazu. Genauso wie die Bekanntschaft mit Reifenstapeln, wenn man Formel 1 Pilot ist oder der eine oder andere harte Treffer in die Kronjuwelen auf dem Weg zum Profifußballer.

Ich hatte viel Glück in meiner aktiven Karriere.

Wenn man einen Salto von einem galoppierenden Pferd springt und auf dem unebenen Sandboden landet, passiert gerne mal was „mit Sound“. Und damit meine ich Bänderrisse in den Füßen, Kreuzband- und Meniskusrisse im Knie. Fällt man aus der Höhe auf den Rücken, bleibt die Luft automatisch weg, auch Bewusstlosigkeiten kommen (zum Glück sehr selten) vor. Versucht man, sich im Fall abzustützen, kugelt man sich vermutlich den Ellbogen oder die Schulter aus. Gebrochene Arme, Handgelenke, Gehirnerschütterungen … Ich habe alles davon gesehen und miterlebt. Menschen, die vor und unter das Pferd fallen, dabei ein Hufeisen abbekommen und aus dicken Platzwunden am Kopf bluten.

Nicht umsonst sagt man, dass der Reitsport eine der gefährlichsten Disziplinen ist.

Meinen schlimmsten Sturz erlebte ich mit 13 Jahren. Ich fiel aus knapp 5 Metern Höhe flach auf den Rücken, weil das Pferd in dem Moment, wo ich in die Luft geworfen wurde, einen Satz nach vorne machte (so was kommt vor, sind ja auch nur Menschen, die Pferde).

Eine Woche lag ich danach abwechselnd im Bett und in heißen Badewannen. Ich hatte Glück, nichts gebrochen und lediglich alles geprellt, was man im Rumpf so vorfinden kann.

Auch das gehört zum Erfolg dazu. Das Scheitern.

Dieses Scheitern ist wichtig für uns. Es rückt die alltäglichen Dinge gerade. Es lässt einen die Normalität wieder als positiven Umstand erkennen. Als etwas, wofür wir ab und zu auch mal dankbar sein dürfen.

Scheitern heißt auch, mal an einer Medaille vorbeizuturnen. Und auch das tut weh. Ein Jahr Vorbereitung, alles auf drei Wettkampftage ausgerichtet. Ein halbes Jahr keine Hobbies, Freizeit oder Freundschaften gelebt. Und dann der große Fail und die tiefe Enttäuschung. Solche Niederlagen tun weh, sogar mehrere Tage oder Wochen. Manche sind so episch, dass man sich noch Jahre später weigert, das Video erneut anzusehen. Und dennoch ist jede dieser Niederlagen mit fast hundertprozentiger Sicherheit ein Anlass für jedes Sportlerherz, es im nächsten Anlauf noch besser zu machen. Aus den Fehlern zu lernen. Hoffnung zu sammeln und wieder neu zu riskieren.

Im Job fühlen sich Niederlagen oft endgültig an. Man ist frustriert und bangt darum, ob man eine zweite Chance erhält. Dabei ist oft die Frage viel spannender, ob man sich selbst eine zweite Chance gibt. Bereit ist, zu dem „Versagen“ zu stehen und neuen Anlauf zu nehmen. Den Frust beiseite schafft und somit Raum für Neues freigibt. Und natürlich auch, ob man jemanden „über sich“ hat, der einen dabei unterstützt und dem man vertrauen kann.


Vertrauen ist alles.

Fallen kann man beim Voltigieren lernen. Als Coach achte ich darauf, dass sich die Sportler damit auseinandersetzen, welches Risiko ein neuer Move mit sich bringt. Wir diskutieren offen und bewusst, was alles passieren kann. Skizzieren verschiedene Sturz-Szenarien und die entsprechenden Handlungsoptionen.

Warum tun das Chefs so selten? Meist hört Chef-Sein auf, wenn die Wichtigkeit des Projekts erklärt ist. Aber kaum ein Chef setzt sich in Ruhe mit dem Mitarbeiter oder Team hin und erklärt, welche Szenarien sich im besten, im schlimmsten und im Normalfall ergeben könnten. Und übernimmt gemeinsam mit dem Mitarbeiter die Verantwortung bereits im Vorfeld – und zwar für alle Szenarien und Ausgänge des Ganzen. Und nicht erst hinterher in Form eines Schulterklopfers, einer Gehaltserhöhung oder einer Kündigung.

Chef sein heißt, nah dran zu sein an den Menschen. Führung heißt, Mitarbeiter zu befähigen. Sie mit in die ehrliche Verantwortung zu nehmen, aber mit bedingungslosem Rückhalt und Vertrauen als Basis. Komme, was wolle.

Und damit kommen wir über das Voltigieren zu meinem Leib- und Magenthema.

Führungskräfte sollten sich selbst viel öfter als Sport-Coaches betrachten.

Coach sein bedeutet nämlich viel weniger, nur fachlich kompetent zu sein und das Sagen zu haben. Ein guter Coach ist nicht Kopf einer Sache, sondern der Nährboden für andere. Er ist Vermittler, Diplomat, Motivator (!), Entscheidungsträger und Kommunikator in alle Richtungen. Er ist das Netz mit doppeltem Boden. Er ist der, der die Athleten vor Dingen abschirmt, die von ihrem Flow und der Zielerreichung ablenken. Und der sie gleichzeitig in den Hintern tritt, wenn es sein muss.

Ich erinnere mich genau an den Tag aus meiner Zeit als Team-Coach, an dem eine junge Athletin von mir so schwer aus der Höhe stürzte, dass sie bewusstlos am Boden lag. Sie verbrachte eine Woche im Krankenhaus. Ich machte mir schwerste Vorwürfe und weinte an ihrem Krankenhausbett. Ich entschuldigte mich bei ihrer Mutter, auch wenn niemand außer dem Zufall schuld an diesem Sturz war. Ich überlegte lange, ob ich weiterhin diese Verantwortung übernehmen wollte – und entschied mich am Ende dafür.

Und so sollte sich auch jede Führungskraft verstehen: Als derjenige, der gerade in den schwersten Momenten, Niederlagen und Fehltritten bereit ist, nach vorne zu treten und die Verantwortung zu übernehmen. Eine gute Führungskraft nimmt sich bei Erfolgen zurück und überlässt den Ruhm dem Team. In schlechten Momenten ist sie die Person, die vor die Kameras tritt.

Und damit bringt man den Menschen, Sportlern, Mitarbeitern eben viel mehr bei als nur kurzfristigen Erfolg.

Man bringt ihnen bei, dass die viele Zeit, die wir im Beruf verbringen, eine langfristige Erfüllung sein kann, darf und sollte. Dass der Job keine bloße Beschäftigung oder gar Zeitverschwendung sein muss. Und dass es auf jeden Einzelnen ankommt.

Auf die Alphas und auf das Fischfutter.

Denn das motiviert viel mehr als ein alberner Bonusscheck. Intrinsisch eben.

Und so möchte ich das Ganze mit einem Zitat einer meiner Lieblings-Führungskräfte, nämlich dem Fußballcoach Jürgen Klopp abrunden, der folgendes sagte:

„Ich bin für unsere schlechten Leistungen verantwortlich, die Spieler sind für unsere guten Leistungen verantwortlich. Das ist ein ganz einfacher Deal.“

In diesem Sinne. Amen. Und möge der Fußballgott euch hold sein.


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